MetaSmile: Interview mit Arpito Storms

Ab September 2011 findet in Zürich die neue Weiterbildung System Coach statt. MetaSmile hat dem Begründer, Arpito Storms drei Fragen gestellt.

MS: Arpito, was heisst systemisch?

Arpito: Menschen und die Themen, welche sie beschäftigen im grösseren Zusammenhang zu sehen, ergibt ein erweitertes, systemisches Verständnis. Vereinfachte Lösungsversuche für komplexe Situationen und Verhältnisse führen oft zu einer Verschärfung der Problematik. Nur weil gewisse vertraute Werkzeuge vorhanden sind, heisst dies noch lange nicht, dass sie sich für alle Aufgaben / Herausforderungen eignen (“Wer einen Hammer hat, sieht überall Nägel!”).

Wer in einer Situation die systemischen Aspekte übersieht, vergeudet wertvolle Zeit und Energie sowie entscheidende Ressourcen. Die stets komplexer vernetzten und sich ständig verändernden Umstände, in denen wir uns sowohl wirtschaftlich als auch privat bewegen, verlangen nach neuen Herangehensweisen.

MS: Das Interesse für vermehrtes systemisches Verständnis scheint gross: Bereits kurz nach Vorankündigung der Weiterbildung sind erste Anmeldungen eingetroffen. Was hat dich dazu veranlasst, die Weiterbildung System Coach zu starten?

Arpito: 1995 war ich an einem Vortrag von Paul Watzlawick [i] in München. Er erzählte einige Geschichten aus den Anfangstagen der Familienberatung, die Geburtsstunde der heutigen systemischen Coachingarbeit. Üblicherweise wurde bis dahin stets in Einzelsettings mit Leuten gearbeitet. Man entdeckte jedoch, dass dauerhafte Veränderung damit nur in begrenztem Masse herbeigeführt werden konnten. Denn, wenn ein Kunde – nach dem Coaching – wieder in sein Ursprungssystem (Familie, Arbeitsfeld, Elternhaus usw.) zurückkehrte, wurde dieser oft entweder ganz oder teilweise rückfällig. Das warf Fragen auf.

Die Schwierigkeiten eines Kunden müssen also immer auch in Beziehung zu dem zugehörigen System betrachtet werden. Obwohl diese Einsicht gewiss nicht neu war, wurde mir dennoch klar, dass ich bis anhin den Einfluss der Systeme auf das Gelingen einer Veränderung deutlich unterschätzt hatte. In der Systemarbeit erhält der Fokus auf die Beziehungen des beteiligten Systems erste Priorität.

Seitdem habe ich mich ausführlich und intensiv mit Systemen und deren Wirkungen beschäftigt. Sowohl im Studium der neuesten Entwicklungen im Bereich der Systemtheorie und der praktischen Systemarbeit, wie auch in meiner eigenen praktischen Arbeit im Einzelcoaching und mit Teams in Betrieben und Organisationen. Diese Erkenntnisse, Ergebnisse und Entdeckungen habe ich nun verdichtet in einem, wie ich meine, interessanten und faszinierenden Weiterbildungsangebot für Coaches.

MS: Was ist so faszinierend an der systemischen Arbeit?

Arpito: Ganz offensichtlich besitzen Systeme eine eigene inhärente Intelligenz. Eine Intelligenz, die sich zeigt, wenn man das System als Ganzes erforscht und nicht – wie oft üblich – in einzelne Teile zerlegt.

Eine typische Systemeigenschaft ist zum Beispiel die Wechselwirkung. Statt Ursache-Wirkung gibt es also eine Rückkopplung (Kybernetik), die wir in der Systemarbeit als Wechselwirkung bezeichnen. Ein System ist auf komplexe Art und Weise laufend in Entwicklung. So kann sich ein Coach / Supervisor in einem System leicht verlieren, wenn er/sie zu analytisch nur bestimmten (einzelnen) Ursachen und Wirkungen nachgeht und diese ‘behandelt’.

Ein bekanntes Gleichnis illustriert, welche Trugschlüsse aus dem Fokus auf Einzelelemente entstehen können: Ein Elefant ist entfremdet von seiner Herde und zieht in eine Stadt, in der nur Blinde wohnen. Einige sind so mutig, das mächtige Tier zu ertasten, und erstatten anschliessend ihren Mitbürgern Bericht. Der Unerschrockene, der das Ohr des Elefanten zu fassen gekriegt hat, sagt: „Es handelt sich um einen grossen, flachen und rauen Teppich“. Derjenige, der die Stosszähne befühlt, ist überzeugt, eine Pflugschar in der Hand gehabt zu haben. Andere sprechen von einer gigantischen Säule, einem dicken Schlauch oder einer Schlange.

Aus den Einzelteilen lässt sich also nicht unbedingt aufs Ganze schliessen. Und es können Fehler entstehen, weil man sich auf Unwesentliches konzentriert.

Beispiel: Ein Kunde hat Probleme in seiner Firma. Er fühlt sich vom Vorgesetzten unter Druck gesetzt und hat Mühe mit diesem Druck umzugehen. Also sucht er nach neuen Lösungen. Als Coach könnte ich zum Beispiel Methoden aus dem Stressmanagement anbieten. Die angenommene Ursache wäre der Druck, die (negative) Wirkung der Stress. Als Lösung böte sich zum Beispiel ein Swish und eine verbesserte Atemtechnik an. Was sicherlich ein hilfreiches Vorgehen wäre.

Als System Coach werde ich jedoch auch der Wechselwirkung nachgehen und damit die Dynamik erkennbar machen. Erstens, indem ich mich frage, wie der Druck durch das grössere System mit den unterschiedlichen beteiligten Players ausgeübt wird (Stakeholders, Vorgesetzter, Geschäftsleitung, Firma, Markt, manchmal auch politische Kräfte und auch eigene Ansprüche des Kunden). Zweitens, indem ich beobachte wie diese Kräfte und der Stress beim Kunden zu einander im Verhältnis stehen. Der System Coach wird systemische Methoden wählen, um mit dieser Beziehung zu arbeiten. So werden bis anhin verdeckte Dynamiken thematisiert (und häufig mit geeigneten Methoden visualisiert) um Lösungen zu erarbeiten, die den Kern der Sache fokussieren.

Damit der System Coach die systemischen Aussagen (welche sich durch die oben beschriebene Vorgehensweise ergeben) überhaupt wahrnehmen und verstehen kann, muss er seinen Geist von vorgeformtem Wissen freimachen. Mit anderen Worten, er muss sich öffnen für die Intelligenz des Systems, um dessen Indizien und Sprache zu verstehen. Genau diesen Aspekt finde ich besonders faszinierend. Denn diese Intelligenz ist eine natürliche Energie: wahrnehmbar und für spielerische, kreative Beratung nutzbar. Man spricht in diesem Zusammenhang vom sog. „beginners mind“ (Anfängergeist). Ein anderer Begriff, der den neuen Zugang der systemischen Arbeit zu komplexen Situationen schildert ist „ flex flow“. Dies beschreibt die Fähigkeit flexibel und natürlich (wie im Fluss) vorgehen zu können – je nach Situation, herrschendem Werteverständnis, Kontext und Potential des Systems.

Ich persönlich lerne daraus u.a., dass ich nie ausgelernt habe und dass Wissen zwar wichtig ist, aber nur zum sinnvollen Zeitpunkt: während einer Reflexion, nach systemischen Interventionen. Dann können Coach und Kunde die herrschende Dynamik besprechen. Die Reflexion ist auch deshalb wichtig, weil sie dem Kunden hilft, besser zu verstehen, welchen Beitrag er selbst zur Systemdynamik leistet. – Ein Verständnis mit prophylaktischer Wirkung. Ganz nach dem Motto: „Es kommt nicht darauf an, die Zukunft vorherzusagen, sondern auf die Zukunft vorbereitet zu sein.“ (Perikles).

Systemdynamik ist für Systeme was Psychodynamik für Einzelpersonen ist. So, wie das Verhalten von Einzelpersonen durch bestimmte Absichten angetrieben wird, so manifestieren sich Wechselwirkungen in einem System, weil sie nach gewissen systemischen Grundgesetzen verlaufen.

In der Ausbildung werden wir die bahnbrechenden Erkenntnisse von Pionieren der systemischen Arbeit wie Virginia Satir, Gregory Bateson, Milton Erickson, Clare Graves, Don Beck, Fritz B. Simon, Jacob Moreno und Ken Wilber kennenlernen und nutzen. Für den Coach ist das Verständnis der Systemdynamik von Bedeutung, weil er dadurch sowohl die Treffsicherheit und Effizienz, als auch den Spassfaktor seiner Arbeit enorm steigern kann.

Das obige Beispiel war relativ einfach, also auf einer tiefen Komplexitätsstufe. Im Laufe der Weiterbildung werden wir auch mit komplexeren Systemen, an denen mehrere Teile oder Personen beteiligt sind, arbeiten.

 

Die Weiterbildung findet an 10 Tagen, verteilt auf vier Blöcke in Zürich statt. Block I dient als Einstiegsmodul und ist einzeln buchbar. Die Weiterbildung richtet sich an Coaches, Supervisoren, Lehrpersonen, Personal/Recruiting­verantwortliche und Führungspersonen, die schon eine Ausbildung als Coach/Berater absolviert und Praxiserfahrung haben. Die Bereitschaft, Neues zu lernen, Offenheit und Flexibilität sind weitere wichtige Voraussetzungen. NLP-Vorkenntnisse sind hilfreich jedoch keine Voraussetzung. Die ausführliche Ausbildungsdokumentation zum Download: www.nlp.ch – Weiterbildungen

[i] Kommunikationswissenschaftler, Psychotherapeut, Psychoanalytiker, Soziologe, Philosoph und Autor. Sein Gedankengut hat einen wichtigen Beitrag zum NLP geliefert.